Alle Vögel sind noch da
Birdwatching am Federsee
© TMBW, Denger
BW Story - Cross Media Redaktion
Durch meterhohes Schilf und unberührte Moorurwälder
Laut sirrend und gut versteckt rauscht ein Fahrrad durch das hohe Schilf. Schmunzelnd blickt Kerstin Wernicke in unsere suchenden Gesichter. Sie hat den kleinen Krachmacher sofort erkannt. Unentdeckt bleibt der Feldschwirl jedoch auch vor ihr. Der Vogel mit dem seltsamen Gesang entschwindet in die weiten Schilf- und Feuchtwiesen, die den Federsee umgeben.
Als es den Federseesteg noch nicht gab, waren Schilf- und Feuchtwiesen übrigens alles, was die Bad Buchauer von ihrem Gewässer zu Gesicht bekamen. Denn der zweitgrößte See Baden-Württembergs versteckt sich hinter einem 250 Hektar großen, bis zu vier Meter hohen Schilfgürtel. Das 33 Quadratkilometer große Moor rund um den See in Oberschwaben ist Naturschutzgebiet und Lebensraum von 700 Pflanzen-, 600 Schmetterlings-, und 272 Vogelarten, über 100 davon sind Brutvögel. Als wichtiger, geschützter Lebensraum gehört das Federseemoor zu Natura 2000 und ist Europa-Vogelreservat. Um die Artenvielfalt nicht zu stören, wurde schon 1911 der Federseesteg gebaut. In jenem Jahr erwarb auch die Nabu-Gründerin Lina Hähnle die ersten Flächen am Federsee und ließ sie ungestört verwildern. Seit 1987 steht in Bad Buchau das Nabu-Naturschutzzentrum. Von dort aus veranstaltet der Nabu Führungen und überwacht die Naturschutzgebiete im Moor.
UNESCO-Welterbe
Wir blinzeln in die Sonne, es ist 8 Uhr früh, der Himmel strahlend blau. Die ersten Sportklassen aus Bad Buchau joggen am Rande des Moores entlang, das direkt an den Kurort grenzt. „Vor 200 Jahren war die Stadt vom Federseemoor eingeschlossen. Zur Nachbargemeinde konnte man damals nur mit dem Boot übersetzen“, erzählt Kerstin Wernicke, während wir die wenigen hundert Meter vom Nabu-Zentrum zum Federseesteg laufen. Um das Gebiet um Bad Buchau landwirtschaftlich nutzbar zu machen, wurde der Seespiegel damals abgesenkt. Heute ist der früher bis zu 6 Meter tiefe See nur noch 0,6 bis 2,8 Meter tief.
Zwischen dem Nabu-Zentrum und dem Steg liegt rechts das Federseemuseum, ein auf Pfählen gebauter Holz-Kubus. „Das Federseemoor ist das fundreichste Moor in Mitteleuropa“, erzählt Wernicke. Über 20 Pfahlbaudörfer seien im Federseemoor konserviert. Die vier Ausgrabungsstätten Alleshausen-Grundwiesen, Ödenahlen, Olzreute-Enzisholz und die Siedlung Forschner am Federsee gehören zum UNESCO-Welterbe. Im Federseemuseum sind Fundstücke aus den Ausgrabungsstätten und originalgetreue Nachbauten der verschiedenen Epochen ausgestellt. Das gemeinsame Ziel der Archäologen und des Naturschutzbundes am Federsee ist, die Entwässerung des Moores zu stoppen. Im feuchten Moor bleiben die Siedlungsreste konserviert und die besonderen Lebensräume der Tiere und Pflanzen erhalten.
Ein Steg auf über 1.000 Eichenpfählen
Ein kleines Eintrittshäuschen steht am Eingang des Federseestegs, schwarzes Wasser glitzert durch die Holzbretter, auf den Feuchtwiesen blühen unter anderem Baldrian und Mädesüß. 1.500 Meter ist der Steg lang, steht auf 1.091, 7 bis 14 Meter langen Eichenpfählen und ist schon über 100 Jahre alt. Er wurde gebaut, damit Besucher zum Federsee gelangen, ohne dabei die Tier- und Pflanzenwelt zu stören. Plötzlich bleibt unser Guide stehen – „jetzt ganz vorsichtig!“: Auf einem Schilfhalm direkt vor uns sitzt eine kleine Rohrammer, ein spatzengroßer Vogel mit schwarzem Kopf und weißen Backenstreifen. Sie gibt ein kurzes Trillern von sich und flieht ins Dickicht. Immer wieder blickt Kerstin Wernicke durchs Fernglas und deutet auf Graugänse und Rotmilane, die über das Schilf fliegen. Ein fast meditativer Spaziergang, begleitet vom sanften Rauschen der hohen Schilfgräser.
Nach etwa einem Kilometer ragt der Aussichtsturm aus dem Schilf, einer ihrer Lieblingsorte, meint Kerstin Wernicke. Von dem Turm hat man einen weiten Blick über die Federsee-Landschaft. Ein kleiner Kanal schlängelt sich durch das Schilf auf den See zu, in der Ferne rauscht der Moorurwald und endlich können wir auch den Federsee sehen. Je näher wir der schwimmenden Aussichtsplattform kommen, desto lichter wird das umliegende Schilf. Ein schwarzes Blesshuhn stakst durchs Wasser, die seltenen Fluss-Seeschwalben fliegen ihre spektakulären Jagdmanöver, und ein Biber hat sich direkt am Steg ein kleines Häuschen aus Zweigen und Ästen gebaut.
Bartmeisen und rostende Schwäne
An der Aussichtsplattform angekommen, lassen wir uns auf die Holzbänke fallen. Seerosen bedecken die Wasseroberfläche, in unserer Nähe sucht ein Schwanenpärchen mit rotbraun schimmernden Kopffedern nach Nahrung. „Die Schwäne rosten“, erklärt uns die Biologin, „im Schlamm gibt es Eisenverbindungen, die bei der Nahrungssuche im Gefieder der Tiere hängen bleiben und an der Luft oxidieren“. Heute zeigen sich nur wenige Vögel auf dem offenen Gewässer. Und im Spätherbst, wenn bis zu 3.000 Schwimmvögel auf dem Wasser rasten, sieht man vor lauter Vögeln den See nicht.
Kerstin Wernicke erzählt uns während der Tour immer wieder von besonderen Vögeln. Von der Bartmeise etwa, für die Ornithologen aus ganz Deutschland anreisen. Von seltenen Rohrweihen, Wasserrallen und Raubwürgern. Oder eben vom Feldschwirl, dessen sirrendes Zwitschern nach Fahrrad klingt. Es macht Spaß, ihr zuzuhören – und den Vögeln natürlich. Man wird ganz still und ruhig dabei. Nicht nur Tiere und Pflanzen können sich dank der Ruhe am Federsee erholen. Der Mensch kann es ebenso.
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