Kulinarisches Bauland
Mit Essen spielt man nicht, aber man kann mit dem Fahrrad durchfahren. Auf den beiden insgesamt 100 Kilometer langen Grünkernradwegen in der Ferienregion Odenwald etwa. Die führen durch im Juli rot-gelb gefärbte Grünkernfelder und an den wichtigsten Stationen der fränkischen Grünkern-Produktion im sogenannten badischen Bauland, zwischen den Flüssen Neckar, Jagst und Tauber, vorbei.
„Irgendwie habe ich mir die größer vorgestellt“, sagt Daniel zu Tina und steht, die Arme in die Hüften gestemmt, vor dem zugegeben wirklich nicht großen Fachwerkhäuschen. In der denkmalgeschützten Darrenstraße in Walldürn- Altheim stehen insgesamt 13 dieser Gebäude, in denen früher der Grünkern direkt nach der Ernte gedarrt, also getrocknet, wurde. An dem stillgelegten Steinbrunnen vor den Häuschen macht das Radlerduo Rast. Es ist ein warmer Juli-Tag. Bis auf die Schwalben, die auf Futtersuche durch den Himmel sausen, ist kaum jemand in dem Dorf unterwegs. Ob alle Bewohner bei der Grünkernernte helfen?
Tina und Daniel sind im Odenwald, genauer gesagt im Bauland unterwegs, einer sanft hügeligen Region nordöstlich von Moosbach und ganz im Osten Baden-Württembergs. Im Bauland gibt es viel zu entdecken: die berühmte Wallfahrtsbasilika zum Heiligen Blut in Walldürn, die Obere Burg in Hardheim und den Grünkern zum Beispiel. Ihnen allen begegnet man auf den Grünkernradwegen 1 und 2, die zusammen knapp 100 Kilometer lang sind. Das radbegeisterte Pärchen ist mit seinen E-Bikes heute auf Route 2 unterwegs. Die führt auf gut ausgeschilderten Wegen von der hübschen Fachwerkstadt Walldürn über Boxberg nach Rosenberg. Doch was ist Grünkern überhaupt? Und warum nimmt er hier so eine bedeutende Rolle ein? Das weiß Armin Mechler, einer der größten Grünkernproduzenten der Region. Und zu dem sind die beiden jetzt unterwegs.
Retter in der Not
„Grünkern ist unreif geernteter Dinkel", verrät Mechler, während Tina und Daniel mit ihm am Rand seiner Felder entlangspazieren. Und wären die Sommer Mitte des 17. Jahrhunderts nicht so furchtbar kalt und verregnet gewesen, hätte man ihn möglicherweise gar nicht entdeckt. Um 1660 herum waren die Wetterbedingungen in der Region für einige Jahre so schlecht, dass den Bauern die Ernte auf den Feldern verdarb und eine Hungersnot drohte. Darum ernteten die Menschen den Dinkel unreif und trockneten ihn über dem Buchenfeuer. Und siehe da, durch das Rösten erhielten die Körner eine nussige Note und wurden unter anderem als feine Suppeneinlage verwendet. Von da an erntete man regelmäßig einen Teil des Dinkels zwei bis drei Wochen früher als Grünkern.
Mechler ist mit Grünkern aufgewachsen. Seit Generationen wird das Getreide in seiner Familie angebaut. Der Produzent war auch unter den regionalen Grünkernerzeugern, die den hier angebauten Bauländer Spelz unter der Markenbezeichnung Fränkischer Grünkern eintragen und schützen ließen. Dieser Bauländer Spelz ist die älteste, wunderbar aromatische und nur hier angebaute Grünkernsorte auf dem Markt. „Unser Grünkernabsatz hat Hochs und Tiefs“, erzählt Armin, „mal wird ganz viel gekauft und dann wieder wenig. Aktuell erleben wir eine Hochphase, da der Grünkern durch den hohen Anteil an B-Vitaminen, Eisen und Magnesium als Superfood gilt. Aber er schmeckt auch einfach gut.“
Der letzte Schliff
Unmittelbar nach der Ernte muss der weiche Grünkern bei 150 Grad getrocknet werden. Das macht Mechler in einer Industriedarre, die in einer seiner großen Lagerhallen bei Walldürn-Altheim steht. Bevor das Korn an die Kundin kommt, muss das Korn noch entspelzt werden, also von den fest mit dem Korn verwachsenen Deckblättern befreit werden. Das wird in der Talmühle Haas erledigt, Tinas und Daniels Ziel der Radtour.
Sie liegt zwischen einem Wäldchen und von Blumen rot-gelb gefärbten Grünkernfeldern am Flüsschen Kirnau in einem kleinen Tal hinter Rosenberg. Als die beiden Radelnden am hübschen Fachwerkgebäude ankommen, entlädt gerade ein Lastwagen seine Dinkelfracht durch ein Bodengitter. Mühlenbetreiberin Evi Haas beobachtet das Abladen und verschwindet dann wieder im Inneren der Mühle, in dem die Spelzanlage auf Hochtouren brummt. Vor dem Eingang zum Hofladen stellen Tina und Daniel ihre Räder ab und gehen hinein. Für eine kleine Packung Fränkischer Grünkern ist auch im Fahrradrucksack Platz, schließlich kauft man selten näher am Erzeuger ein als hier. In dem zur Spelzanlage offenen Mühlenladen liegen Mehl, Müsli, Nudeln und Getreide, alle von regionalen Erzeugern eingekauft und hier verarbeitet. Als Tina und Daniel ihre Räder wenig später wieder aufschließen, verrät Evi den beiden noch, dass sie unbedingt in ein Restaurant ganz in der Nähe einkehren sollten, das jedes Jahr bei den Grünkernwochen dabei sei. „Da gibt es den Grünkern in allen Variationen, als Pfannkuchen, als Suppe und zum Nachtisch sogar als Praline“, berichtet Evi.
In diesem Jahr werden sich die beiden langsam an den Grünkern rantasten; mit einer Suppe und Bratlingen. Für die Praline sind sie eventuell nächstes Jahr bereit. Wenn sie wiederkommen, um Route 1 zu befahren.
Info-Kasten:
Mehr Informationen zu den Routen und Sehenswürdigkeiten gibt es unter tg-odenwald.de/gruenkernradweg
Besonderer Tipp: Zur Erntezeit gibt’s in der Region Grünkernwochen. Es werden Feste gefeiert und Grünkern wird in allen Variationen angeboten: fraenkischer-gruenkern.de
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Sannah Mattes
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