Wildnis mit Bäumen
Streuobstwiesen auf der Schwäbischen Alb
© TMBW, Düpper
BW Story - Bernd Sautter
Tief verwurzelt in der Kulturlandschaft
Alte Sorten. Neue Spezialitäten. Prisecco, Cider und Schaumweine aus der Manufaktur Jörg Geiger sind auf ihre Weise einmalig. Eben so wie die Landschaft am Nordrand der Schwäbischen Alb. Wiesenobst und Tafelobst – ist eben ein Unterschied wie Äpfel und Birnen.
Die Obstbäume stehen in regelmäßigem Abstand. Darunter englischer Rasen. Kein Kraut stört das gleichmäßige Grün am Boden. Die Anlage ist keine Obstwiese, eher eine Parklandschaft mit Bäumen. Alles picobello – so wie es ein Hobbygärtner gerne sieht. Aber nicht nach Maßstäben von Jörg Geiger. Nach seiner Überzeugung sollte eine Wiese komplett anders aussehen. Bunt und vielfältig. Eben so wie früher. So wie die Obstwiese neben der vermeintlichen Vorzeigeplantage. Sie gehört Geigers Manufaktur.
Ein kleines Stück Wildnis mit Bäumen. Das Gegenteil von englischem Rasen. Der Gärtner der Queen wäre not amused. Auf Geigers Wiese wächst so viel mehr als nur Obstbäume. Ein Potpourri an Kräutern, Wiesenblumen und anderen Gewächsen. Der Obstpionier kennt jede Pflanze mit Vornamen. Er schätzt jede, denn weiß um ihren biologischem Nutzen. Diese Obstwiese hat er vor vier Jahren angelegt. Die Birnbäume befinden sich noch in ihrer Kindheit. Geiger erklärt, dass wie dem Birnen-Nachwuchs der Boden bereitet wird. „Wir müssen zuerst einmal das Bodenmikrobiom in Schwung bringen“. Geiger nimmt eine Handvoll Erde. „Es geht darum, dass wir den Boden wieder riechen und schmecken können“, sagt er, während er mit der Nase die Erde atmet. Geiger denkt in längeren Zeiträumen. Vor rund 40 Jahren hat er sich aufgemacht, die Zukunft der Obstanbaus umzukrempeln.
Er hat die alten Sorten wiederentdeckt, ihren Anbau kultiviert. Geiger sagt: „Wir wollten verstehen, warum man diese Sorten früher angebaut hat.“ Auf diesem Wissen hat er seine Manufaktur aufgebaut. Heutzutage sind seine Obstbrände, die alkoholfreien Spezialitäten und die sortenreinen Schaumweine moderner denn je. Wenn man am Tresen der Probierstube steht, kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen.
Der Ursprung der neuen, alten Kunst des Obstanbaus befindet sich in der Gemeinde Schlat am Nordrand der Schwäbischen Alb. Hier, südwestlich von Geislingen befindet sich seit jeher die Obstkammer Württembergs. Von hier aus werden die Marktstände der gesamten Neckarregion bestückt. Überwiegend mit Tafelobst. Jörg Geiger hat erkannt, dass es auch einen anderen Weg geben muss. Sonst geht der regionale Obstanbau unter im Günstig-Diktat des Marktes ein. Was man landläufig Streuobstwiesen nennt, dafür hat er den Begriff Wiesenobst geprägt. Im Gegensatz zum Tafelobst geht es dabei nicht um Aussehen, sondern um Substanz. Säure und Gerbstoffe sind erwünscht. So entsteht Aroma. Indem er die alten Charakter-Sorten wieder zu neuer Blüte bringt, schafft er frische Qualitäten. Nicht im Obstkorb, sondern in der Flasche. Manche der flüssigen Köstlichkeiten sind so neu, dass sie keine Vorbilder haben. Also wurden neue Namen erfunden. Wie lustlos würde sich die Bezeichnung „alkoholfreier Sekt“ anhören? Geiger nennt es „Prisecco“. Der Prisecco schmeckt, wie er heißt: spritzig, dass der Gaumen prickelt.
Der Spaziergang rund um Schlat lohnt sich. In der Manufaktur kann man sich einen digitalen Guide als Wegweiser leihen. Siebzig Geopunkte sind markiert. So lernt man an jedem Punkt, auf was es ankommt beim Wiesenobst. Wasser, Nährstoffe und Vielfalt ist wichtig. Alles hängt mit allem zusammen. Unter Geigers Obstbäumen sorgen Schafe für den richtigen Schnitt. Geiger findet, dass die Art der Landschaft, dem Wesen des Menschen entspricht: „Im Rücken werden wir durch den Wald geschützt. Wir spüren Sicherheit und Geborgenheit. Nach vorne schauen wir in die halboffene Landschaft. Nichts ist kahl. Vereinzelt stehen Obstbäume. Das tut unserer Seele gut. Die Landschaft ist so ausbalanciert, wie wir es uns selbst wünschen.“ Der Obstanbau prägt die Landschaft. Die alten Birnbäume fallen besonders auf. Wenn man bedenkt, dass die Kavenzmänner mindestens nochmal so tief wurzeln wie sie hoch sind, erscheinen sie gleich doppelt so riesig. Birnbäume brauchen das Alter, damit die Früchte so sind, wie es sich für gutes Wiesenobst gehört. Geiger lässt sie bis zu zwanzig Jahre wachsen. „Dann wurzelt der Birnbaum so tief, dass er sich die wasserführenden Schichten erschließen kann.“ Ein stolzer Birnbaum zieht bis zu 600 Liter Wasser am Tag.
Am nördlichen Albrand hat der Obstanbau ideale Bedingungen. Von Westen kommt der Steigungsregen. Von der Schwäbischen Alb sickert unterirdisches Wasser durch den Braunjura an die Obstwiesen. Sonne satt an normalen Jahren. Besondern die anspruchsvollen Birnen genießen das Klima. Im Herbst liefern 340 Obstbauern ihre Rohware zur Manufaktur. Alle haben sich auf spezielle Richtlinien für Wiesenobst verständigt. Geiger weiß um die Verpflichtung gegenüber den Obstbauern. Er zahlt über dem marktüblichen Niveau. Preis ist die beste Form seinen Respekt gegenüber den Naturerzeugnissen auszudrücken. „Naturschutz allein reicht nicht“, betont er, „wir brauchen für eine wirtschaftliche Perspektive für alle.“ Man muss nur wenige Tropfen der seiner Spezialitäten verkosten, um die Zukunft der Region zu schmecken. Inzwischen werden die Früchte von rund 25.000 Bäumen in Schlat angeliefert.
Im September und Oktober tut man sich schwer, mit Jörg Geiger zu sprechen. „Wenn Ernte ist, gehört der Chef in die Produktion“, sagt er. Die angelieferten Früchte machen die Qualität. In der Annahme wird penibel geschaut, dass jede Frucht zum besonderen Aroma beiträgt. Alte Sorten wie die Champagner Bratbirne, das Stuttgarter Gaishirtle und der Wildling von Einsiedel, um nur die Birnen zu nennen, werden genau in Augenschein genommen. Im nächsten Schritt prüft das Team der Manufaktur jede Frucht auf dem Band. Eventueller Verschnitt und überreife Früchte werden gnadenlos aussortiert. Nichts darf das Aroma verwässern.
Wer es schmecken möchte, ist in der Manufaktur herzlich willkommen. Die Probierstube ist Montag bis Samstag geöffnet. Beim Verkosten gilt dasselbe wie bei jedem Wein. Wer die Erzeugnisse dort probiert, wo sie produziert werden, gewinnt einen besseren Eindruck. Jörg Geiger begreift es als Lebensaufgabe, das Wissen über die alten Sorten weiter zu geben. Sonntagsführungen mit dem Chef finden achtmal im Jahr statt. Im Sommer bietet sich das Wiesenpicknick an: Verkostung mit Aussicht. Schlat im Blick. Köstlichkeiten im Glas. Stimmungsvoll unter Apfel- und Birnbäumen. Jörg Geiger genießt diese Abende. Er betont: „Es ist eine Herzensangelegenheit das Wissen zu teilen. Ich freue mich, wenn Leute verstehen, warum man die alte Sorten einmal gepflanzt hat und wie sie die Landschaft prägen.“ Übrigens: Wer seine Gala-Slipper im Schrank lässt, ist durchaus im Vorteil. Beim Obstwein-Picknick gibt’s manche Überraschungen. Alles, aber kein englischer Golfrasen.
Übersicht
Mehr zur Manufaktur Jörg Geiger
Termine und Anmeldung zu einer Wiesenobst-Führung oder Wiesenobst-Picknick gibt es direkt über die Manufaktur Geiger.
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