Sekt in the City
Besuch der Sektkellerei Kessler in Esslingen

Edler Schaumwein aus der Region Stuttgart | Bernd Sautter
Dem prickelnden Erlebnis auf der Spur
Mögen Sie prickelnde Erlebnisse? Dann ist ein verlängerter Nachmittag im Herzen von Esslingen zu empfehlen. Die Stadt ist für Sektliebhaberinnen und Sektliebhaber ungefähr wie Bordeaux für Weinkennerinnen und Weinkenner. So ähnlich wie der Mittelpunkt der Welt. Stichwort: Originalschauplatz. Selbst wenn Sie nicht zu den Insidern der Schaumweinszene gehören, ahnen sie wahrscheinlich: Wo Sekt erzeugt wird, spürt man auf der Zunge ein gewisses Etwas. Vielleicht ist es nur eine Einbildung, aber eine schöne. Fest steht: Das edle Gläschen Sekt braucht keine langen Transportwege. Sie genießen es im historischen Innenhof der Sektkellerei Kessler. Also direkt neben der Treppe, die hinab ins Innerste der Schatzkammer führt.
An diesem Ort wurde die deutsche Sekttradition begründet. Esslingen ist sozusagen die erste Außenstelle der Champagne. Bei Veuve Clicquot hat Georg Christian Kessler einst gelernt, wie man das Prickeln auf der Zunge perfektioniert. Im Jahr 1826 kehrte er in seine Heimat zurück. Aber er wäre kein Schwabe, wenn er nicht noch ein paar Kniffe zur Vollendung der Perfektion hinzugefügt hätte. Mehr dazu später. Wir wollen nichts überstürzen. Hochgenuss verträgt keine Eile. Begeben wir uns in aller Ruhe ins Innerste des historischen Pfleghofs, direkt am wundervollen Marktplatz. Herzlich willkommen zu Sekt in the City in der ältesten Sektkellerei Deutschlands.
Aus lauter Vorfreude auf die Kellerführung treffen wir schon eine Stunde vorher ein. Wir mischen uns unter die Einheimischen. Das gute Gläschen Sekt in der City hat in Esslingen lange Tradition. Man genießt es nach dem Shopping oder einfach so. Im Wissen, dass wir hier nichts Falsches bestellen können, entschieden wir uns für einen Blanc Réserve Vintage. Wenig später erfahren wir, dass wir Zitrustöne am Gaumen und Mandelnuancen im Hintergrund wahrnehmen könnten. Doch wir geben zu: Darauf wären wir nicht gekommen. Und wir haben Glück, denn wir treffen auf den Kessler Markenbotschafter Achim Silberhorn. Er bestätigt uns, dass man nicht zwangsläufig alle Nebennoten identifizieren muss. Im Grunde würde nur eines zählen: Schmeckt er oder schmeckt er nicht? Da müssen wir nicht überlegen. Wundervoll! Vielleicht liegt es auch am passenden Rahmen und der einzigartigen Situation. In diesem Innenhof, an diesem Ort und unter Anwesenheit des Kessler Markenbotschafters. Also bitte, das kann man überhaupt nichts anders schmecken als Perfektion in Reinkultur.

Achim Silberhorn könnte uns einen ganzen Abend mit faszinierenden Sekt-Geschichten unterhalten. Als kleine Kostprobe erzählt er die Anekdote von der Explosivität. In ihren Anfängen war die Herstellung extrem gefährlich – und verlustreich obendrein. Vom ersten Jahrgang 1826 sollen viertausend Flaschen direkt im Keller explodiert sein. Zerborsten unter dem Druck der zweiten Gärung. Erst als Georg Christian Kessler bessere Flaschen auftrieb, welche mit stabilem Boden, konnte die Produktion durchstarten. Das dürfen wir uns jetzt genauer ansehen. Die Kellerführung beginnt. Wir steigen hinab ins tiefe Herz der historischen Kellerei.
Respekt ist angebracht – und Abstand auch. Gut, dass das Problem mit den explodierenden Flaschen gelöst ist. Der Respekt bleibt. Wir stehen vor endlosen Rüttelpulten. Die Flaschen stecken darin, Flaschenboden nach oben. Sie werden von den Kellermeister von Hand gerüttelt. Jede einzelne Flasche! Mehrmals täglich. Leicht aus dem Pult herausziehen, etwa eine Vierteldrehung und dann wieder rein ins Pult. So setzt sich die Hefe ab, die später entfernt wird. Wie genau, das erklärt der Kellermeister besonders gern. Denn dieser Vorgang – das kalte Degorgierverfahren – ist auch eine Erfindung, die auf Georg Christian Kessler zurückgeht. Wie es genau funktioniert und was es mit Assemblieren, Dosieren und Agraffieren auf sich hat, erfahren wir während eines einstündigen Spaziergangs durch die heiligen Hallen der Esslinger Unterwelt. Insgesamt elf riesige Gewölbekeller stehen randvoll mit Rüttelpulten. Jeder Kubikzentimeter wird ausgenutzt.
Als wir am Ende eine kleine Bestellung aufgegeben, werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir im Moment dasselbe tun wie Königin Olga von Württemberg vor fast 150 Jahren und Bundeskanzler Adenauer vor rund 70 Jahren: Wir ordern Sekt. Und es sei ausdrücklich betont, dass wir unsere Bestellung zu keiner Sekunde bereuen.
Zurück im Innenhof. Eine leichte Dämmerung liegt über Stadt und Hof. Das Licht zeichnet die Fassaden in feinen Tönen. Die Stimmung ist entsprechend. Zu einem abschließenden Getränk gibt es keine Alternative. Wir entscheiden uns für einen Rosé Brut und genießen ihn in fachmännischer Begleitung von Achim Silberhorn. Erneut benehmen wir uns wie Königin Olga von Württemberg. Der Experte berichtet, dass die Zarentochter den Rosé besonders mochte. Allerdings mit einem Unterschied.
Silberhorn erzählt von den guten, alten Sitten. Wer sich’s leisten konnte, häufte seinen Wohlstand mit Gold und Silber und genoss den erworbenen Status mit reichlich Pfeffer in der Mahlzeit und einer hohen Dosis Zucker im Getränk. Dolce Vita, wörtlich genommen. Da kommt der Ausdruck her. Die feinen Leute bestanden darauf, dass Getränke mit reichlich Süße ausgestattet waren. „Der gute Geschmack hat sich heute komplett gewandelt“, erklärt der Experte. „Zum Glück! Wir geben in der Dosage nur noch winzige Mengen an Restzucker dazu, mitunter sogar überhaupt nichts.“ So geht edler Schaumwein heute: nach Kesslers Méthode traditionelle, mitgebracht aus der Champagne, aber mit minimalem Einsatz von Zucker in der Dosage. Dosage? Auch so ein Begriff, den wir erst nach der Kellerführung einordnen können. Man sagt ja, dass Reisen bildet. Eine angenehmere Bildungsreise als den Nachmittag in Esslingen können wir uns kaum vorstellen. So bestätigt sich: Der Hochgenuss wird schöner, wenn man ihn dort erlebt, wo er erzeugt wird.
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