Pikante Geschichten
Kaffeekränzle im Schloss Tettnang
© TMBW, Udo Bernhart
BW Story - CRM
Kaffeeklatsch aus dem Leben der Grafen von Montfort
Die große, schwere Holztür öffnet sich. Ein leises Raunen geht durch unsere kleine Gruppe, als wir in den barocken Bacchussaal schreiten. Pompös sieht es hier aus, gelinde ausgedrückt. Man ahnt augenblicklich: Die Grafen von Montfort, die hier als Schlossherren einst üppige Feste ausrichteten, kleckerten nicht. Auch ein Grund, warum das schwäbische Adelsgeschlecht letztendlich finanziell ins Rutschen kam, wie wir von der Kunsthistorikerin Dr. Helga Müller-Schnepper erfahren. Aber dazu später mehr.
Erst einmal nehmen wir an der festlich gedeckten Kaffeetafel Platz, die mitten im Saal aufgebaut ist. Die steht da nicht jeden Tag, sondern wurde eigens für das „Kaffeekränzle im Schloss Tettnang“ hübsch hergerichtet. Und so lassen wir uns Kaffee und Tee in filigranen Sammeltassen aus Porzellan schmecken. Dazu ein Stück himmlisch schmeckenden Kirsch- und Aprikosenkuchen, gebacken nach einem Originalrezept aus dem historischen Kochbuch der Grafen von Montfort. Standesgemäß speisen wir mit vergoldeten Kuchengabeln und lauschen dabei den Geschichten, die Müller-Schnepper ‒ stets mit einer Prise Humor gewürzt ‒ aus dem Leben der Montforter zu erzählen weiß.
Eine davon geht so: Die Grafen verkleideten sich leidenschaftlich gerne als Vagabunden, als Wohnsitzlose. Wie dieses ungewöhnliche Hobby der Hochadeligen aussah, entdecken wir im Vagantenkabinett, einem kleinen Erkerzimmer, in das uns die Kunsthistorikerin vor dem Kaffeekränzle mitnimmt. An den Wänden neun große Gemälde, die Vertreter des fahrenden Volkes zeigen. Und tatsächlich: Einer der Männer sieht dem letzten Grafen von Montfort frappierend ähnlich. Und warum das Ganze?
„Der Adel schätzte das Leben des gemeinen Volkes als Gegenentwurf zur überfeinerten höfischen Welt mit all ihren Etiketten und Zwängen“, erklärt uns die Expertin. „Mit der Lebenswirklichkeit hat das natürlich nichts zu tun“, fährt sie fort. Vielmehr sei das eine romantisierte Vorstellung vom freien Leben auf der Straße. Verhöhnen wollte man die Untertanen damit aber keinesfalls, das Verhältnis zu ihnen galt sogar als ausgesprochen gut.
Raumkunst vom Feinsten mit aufwendigen Stuckarbeiten
Weiter geht’s ins Audienzzimmer. Die Wände sind mit roter Seide aus Frankreich bespannt, aufwändiger Stuck ziert die Decke. Überall tollen Putten mit ihren Instrumenten herum. Ins Auge fallen sofort zwei riesige Porträts in goldenen Rahmen. Überlebensgroß blicken uns Maria Theresia und ihr Mann Franz, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, an. Ihnen waren die Montforter untertan. Seit 250 Jahren hängen die Porträts am gleichen Platz – und sind damit eine Besonderheit. „Alle anderen Einrichtungsgegenstände im Schloss Tettnang sind zwar auch original barock“, erzählt uns Helga Müller-Schnepper. „Sie stammen aber aus dem Depot der Staatlichen Schlösser und Gärten.“
Es war im Jahr 1780, als der letzte Graf von Montfort das ganze Inventar verkaufte, alle Möbel und Bilder. Sogar die Tapeten aus reinster Seide machte er zu Geld. Das schwäbische Adelsgeschlecht war nämlich bankrott. Über die Jahre hinweg häufte sich ein Schuldenberg mit einer absurden Summe von über einer Million Gulden an. Müller-Schnepper stellt einen Vergleich an: „Ein Handwerker verdiente damals 1000 Gulden pro Jahr.“ Schuld an der Misere war zum einen, dass das Schloss Tettnang 1753 gleich nach seinem Bau abbrannte und neu errichtet werden musste. Aber die Montforter feierten eben auch gerne. Maria Theresia und ihrem Mann wurde es offenbar irgendwann zu bunt: Sie waren nicht mehr bereit, die Grafen vor der Insolvenz zu bewahren.
Ein Raum ist immer noch in dem Zustand, wie ihn die Grafen von Montfort hinterlassen haben. Im Bilderkabinett, das gleich an das Audienzzimmer angrenzt, sehen wir unzählige Stuckrahmen, die fest mit der Wand verbunden sind – Raumkunst vom Feinsten. Überall glitzert es, denn wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass in die Stuckdekoration winzige Spiegelscherben eingelassen sind. Nur eines fehlt: Die Bilder – die wurden damals mitverkauft. Damit ist das Bilderkabinett ein Symbol für das Schicksal der Familie, die zu den ältesten im Bodenseekreis gehörte.
Feiern wie die Götter im Bacchussaal
Zurück in den Bacchussaal zum Kaffeekränzle. Hinter uns auf einem großen Weinfass thront eine kräftige Figur: Es ist der Weingott Bacchus, der beschwipst wirkt und sich ‒ scheinbar ‒ gerade noch so aufrecht halten kann. Über unseren Köpfen ein imposantes Deckenfresko, ein Götterhimmel mit Herkules und Jupiter im Zentrum. Die Botschaft kommt an: Die Grafen von Montfort sind stark und unsterblich wie die griechischen Götter. Aber wir wissen ja: Das Schicksal kann durchaus ironisch sein.
Dass ihr unbedingtes Geltungsbedürfnis die Familie in den Ruin trieb, ist das Glück heutiger Gäste: Hinterlassen haben die ausgestorbenen Reichsgrafen von Montfort ein imposantes Schloss am Bodensee ‒ idyllisch gelegen inmitten von Obstbäumen und Hopfengärten. Lust auf Kaffee und Kuchen in nobler Umgebung bekommen?
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