Wenn das Brot schwätzt
Kulinarischer Geheimtipp in Württemberg
© TMBW | Foto: Christoph Düpper
BW Story - Bernd Sautter
Ur-schwäbische Genussfreuden treffen auf frische Ideen
Montag ist Backtag. Wie zu Großmutters Zeiten kommt das Holzofenbrot aus dem eigenen Backhaus. Die Krone Alt Hoheneck feiert die ur-schwäbische Moderne. Ein Besuch im Wirtshaus der kulinarischen Wiederentdeckungen.
Schön, dass es noch Geheimtipps gibt auf dieser Welt. Die Krone Alt Hoheneck gehört dazu. Selbst manche Ludwigsburgerinnen und Ludwigsburger haben noch nie was vom Stadtteil Hoheneck gehört. Tatsächlich ist das winzige Dorf leicht zu übersehen. Es hat sich unauffällig reingequetscht zwischen Burg, Weinberge und Neckar. Das alte Pfarrdorf besteht im Kern aus vier Gassen. Mehr braucht es nicht für ein Dorf wie aus dem schwäbischen Bilderbuch. Gassen, Kirche, Brunnen, Weinberge, Gastwirtschaft – mehr wäre zu viel. Das Wichtigste am Ganzen ist das Wirtshaus. In eigentlichen Ortsmitte trifft man ins Zentrum der schwäbischen Seele: bei einer anständigen Mahlzeit.
Die Krone bildet im doppelten Sinne den Mittelpunkt von Hoheneck. Denn neben dem Wirtshaus hat jedes schwäbische Dorf noch ein zweites Zentrum, sozusagen ein heimliches: das Backhaus. Die traditionelle Einrichtung stand früher allen Familien offen. Hier trafen sich die Leute am Nachmittag. Am Morgen hatte jemand den Ofen angeschürt. Nach dem Mittag begannen die Backgänge. Frauen und Männer rückten mit ihren Teiglingen an. Nach einem ausgiebigen Tratsch nahm man sein leckeres Holzofenbrot mit nach Hause. Man musste nur vor lauter Unterhaltung aufpassen, dass das Brot rechtzeitig aus dem Ofen kommt. Der brannte schließlich auf mehr als 360 Grad, genau so wie die Gerüchteküche.
Inzwischen muss man sich um die lieb gewonnne Backhaus-Tradition kümmern. An manchen Orten gehen die Selbstbäckerinnen und Selbstbäcker aus. Wie gut, dass man im Südwesten aufs Kulturgut achtet. In vielen Dörfern helfen Backhaus-Initiativen die Einrichtungen zu erhalten. Andernorts übernehmen einzelne Bürgerinnen und Bürger den wichtigen Brotjob.
So geschah es auch in Hoheneck. Krone-Inhaber Markus Fetzer erzählt von einer Hohenecker Bürgerin, die jahrelang das Backhaus im Alleingang betrieben hatte. Frisches Hohenecker Holzofenbrot gab’s jeden Montag. Das Angebot war streng limitiert. Wenn’s weg war, war es eben weg. Aus dieser Zeit stammt der traditionelle Hohenecker Wochenkalender: Samstag, Sonntag, Backtag, Dienstag, …
Das Backhaus im kleinen Hof war einer von vielen Gründen, die den Gastronom Markus Fetzer dazu bewogen haben, den Betrieb zu übernehmen. „Die Krone ist ein Schätzle“, sagt er. Fetzer spricht auch als Familienmensch. Seine Krone ist ein Familienbetrieb im besten Sinne. Die Familie wohnt über den Gasträumen. Auch an der Speisekarte lässt sich die tiefe Verwurzelung ablesen. „Das Einfache, aber das richtig gut“, fasst Fetzer seine Küchenphilosophie zusammen. Zum Einfachen gehört traditionell urig-schwäbisches Holzofenbrot. Es gilt der Hohenecker Kalender: Montags ist Backtag.
Fetzer setzt den Vorteig schon am Wochenende an. Der Kronenwirt ist zwar gelernter Betriebsleiter, aber im Backhaus ein Autodidakt. Nach vielen Jahren kennt er alle Tricks und Besonderheiten. Er gibt gerne zu, dass es beim Brotbacken auch darauf ankommt, aus Fehlern zu lernen. Angefeuert wird am frühen Morgen. Die Schamottsteine im Backraum kommen nach rund drei Stunden auf Temperatur.
Gibt es beim Holzofenbrot ein Erfolgsgeheimnis? „Geduld“, sagt Fetzer. Der Natursauerteig muss gut durchgezogen sein. Der Ofen braucht ebenfalls seine Zeit. Wenn das Holz seinen Dienst getan hat, muss der gesamte Backraum gründlich gehudelt werden. Nicht hektisch, aber gründlich. Hudeln nennt man das feuchte Auswischen. Fetzer wickelt einen vorsichtig getränkten Lappen um einen langen Stecken. Besser dreimal hudeln. Dann unbedingt das Erfolgsgeheimnis in Erinnerung rufen: Geduld.
Der Ofen muss sich neutralisieren. Wer die Teiglinge bei Spitzenhitze einschießt, wird verbrannte Kruste ernten. Also Geduld. Warten, bis sich der Ofen auf stabiler Temperatur neutralisiert hat. Erst danach beginnt der eigentliche Backgang. Und selbst wenn’s Holzofenbrot knusprig aus dem Ofen kommt, muss man geduldig bleiben. „Das Brot schwätzt“, sagt man in Schwaben und meint damit das leichte Knistern im Laib. Solange das Brot schwätzt, bitte ruhig liegen lassen. Erst wenn es ausgesprochen hat, kann man es anschneiden. Also eine weitere Stunde Wartezeit. Mindestens.
Inzwischen ist es Abend. Gegen 17.30 Uhr startet das Vesper. Wer’s pur mag, dem reicht Butter und Salz zum frischen Brot. Aber Fetzer macht den Puristen das Leben schwer. Seine Vesperkarte ist voller fantasievoller Vorschläge, die aufs Holzofenbrot abgestimmt sind. Die Bandbreite reicht von traditionellen Beilagen bis zu überraschenden Deluxe-Variationen, von Griebenschmalz bis Pastrami.
An den folgenden Wochentagen (außer Dienstag) findet man das Holzofenbrot frisch im Brotkorb. Dann regiert der Chefkoch, der vorher seine freien Tage genießt. Auf der schwäbischen Karte stehen Zwiebelrostbraten, Schnitzel und Kässpätzle. Schwäbische Substanz statt Firlefanz. „Wir lassen die Klassiker Klassiker sein. Ein guter Rostbraten ist eine Kunst. Es geht darum, die einfachen Dinge gut zu machen“, sagt Fetzer. Auch dafür braucht man Geduld. Die hausgemachte Rotweinsauce zum Rostbraten lässt man besser länger köcheln. Wer seinen Rostbraten mit Spätzle bestellt, bekommt ein besonderes Original auf den Teller. In der Krone hat einst der Urenkel des Erfinders der schwäbischen Spätzlespresse gekocht. Lange her.
Fetzer verbindet Tradition mit Zukunft. Auf dem Extrablatt zur Speisekarte findet man frische Ideen aus der modernen Gemüseküche. Fetzer freut sich über seinen Küchenchef: „Der fermentiert alles, was ihm in die Finger kommt.“
Über die Wiederentdeckung des Einmachens muss Fetzer schmunzeln: „Die Oma hat ihr ganzes Leben ihr Gemüse eingelegt, um es haltbar zu machen.“ In der Krone geht man beinahe täglich ans Eingemachte. Zum Beispiel an eingelegte Auberginen oder cofierte Karotten. Die Beilagen sind mindestens so lecker wie die Hauptgerichte.
Wer die Krone testen will, dem sei eine zeitige Anreise empfohlen. Einen kleinen Spaziergang durchs Dorf sollte man einplanen. Eventuell mit Abstecher in die Weinberge. Direkt gegenüber der Krone lauert ein weiterer hochinteressanter Zeitfresser: ein Freiluft-Antiquariat mit über 9.000 Titeln.
Bücherwurm Heiner Beuttler betreibt es schon seit vierzig Jahren. Ein rundes Viertel des Bestandes wird auf überdachten Regalen direkt am Dorfbrunnen präsentiert. Man findet fast alles. Nur das Rezept für’s originale Krone Backofenbrot findet man nicht. Schön, dass man nicht jeden Geheimtipp irgendwo nachlesen kann. Wer die genaue Rezeptur wissen will, hält sich am besten an die schwäbische Tradition der mündlichen Überlieferung: Einfach Markus Fetzer fragen.
Übersicht
Mehr zur Krone Alt Hoheneck
Die Krone Alt Hoheneck veranstaltet regelmäßig kulinarische Themenwochen. Um Tischreservierung wird gebeten.
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